Landwirtschaft? Artenvielfalt? Was ist denn das?
Das vorliegende Sachbuch „Landwirtschaft? Artenvielfalt? Was ist denn das?“ ist 2021 erstmalig im Isensee-Verlag Oldenburg erschienen. Der herausgebende Verlag benennt als Partner der Publikation die niedersächsische Landwirtschaftskammer (LWK). Daher werden im Besonderen die Strukturen, Funktionen und Prozesse der Landwirtschaft Niedersachsens betrachtet. Es richtet sich insbesondere an Kinder bis zwölf Jahre, die sich für die Landwirtschaft interessieren. So kann es in der Vor- und Grundschule bis in die weiterführenden Klassen der Sekundarstufe I genutzt werden. Zugleich empfiehlt es sich für die Anschaffung in der Schulbibliothek oder für Betreibende außerschulischer Lernorte sowie pädagogisches Personal von Bildungseinrichtungen, die sich diesen Lerngruppen annehmen. Auch für die Hausbibliothek kann es eine nette Anschaffung sein. Von den insgesamt 48 Seiten greift jede das Thema Landwirtschaft und Artenvielfalt auf.
Lernziele und Kompetenzen
Mit der Bearbeitung des Sachbuches erhalten die Lesenden einen umfassenden Einblick in die Landwirtschaft und können eine Vielzahl von Kompetenzen in diesem Kontext erwerben, die sich auch in den Lehrplänen wiederfinden. Aufgrund des selbstgewählten Bezugsraumes, den sich das Buch gibt, soll im Weiteren die Passung der Inhalte zum niedersächsischen Kerncurriculum für das Fach Sachunterricht geprüft werden. Dieses fordert, dass die Schüler:innen verschiedene Lebensräume erkunden und die dort lebenden Pflanzen und Tiere zuordnen und bestimmen können. Das Sachbuch setzt diese Forderung auf mehreren Doppelseiten um, unter anderem auf Seite sechs, wo verschiedene Feldfrüchte dargestellt werden oder auf Seite zehn, welche die unterschiedlichen Nützlinge auf dem Feld zeigen. Auch die Seiten 24 und 25 führen den Lernenden Lebewesen vor Augen, die beispielsweise auf der Wiese leben, oder auf den Seiten 30 und 31 die Tiere und Pflanzen, die am Wasser leben, präsentieren. Anhand von Beispielen aus ihrem eigenen Lebensraum sollen die Schüler:innen ferner befähigt werden, die Achtsamkeit des Menschen gegenüber Pflanzen und Tieren zu reflektieren sowie Möglichkeiten zum Schutz und zur Erhaltung der Ökosysteme zu diskutieren. Dazu bietet das Sachbuch beispielsweise auf Seite 33 konkrete Maßnahmen an, die zeigen, wie Hecken, Gräben und Wegränder durch den Menschen gangjährig gepflegt werden, sodass sie nicht verwildern. Auch zum Schutz des Waldes, der ab Seite 34 im Mittelpunkt steht wird konkret aufgezeigt, wie Wälder, die einst in Monokultur gepflanzt wurden, nachhaltig aufgeforstet werden können.
Aufbau und Analyse der Kapitel
Das Sachbuch kommt in einem hartkartonierten Einband im klassischen DIN A4-Format daher. Es besteht aus insgesamt 48 Seiten und steigt ein mit einer Titelseite gefolgt von einer bebilderten Seite, die eine große Milchkuh zeigt und dem Vorwort des niedersächsischen Landwirtschaftskammerpräsidenten Gerhard Schwetje. Daran schließen sich die thematischen Seiten an, die in einer doppelseitigen Struktur angelegt sind. Diese enthalten Bilder, die von Illustrator:innen gezeichnet wurden, sowie Texte, die die Abbildungen begleiten und beschreiben.
Die ersten Seiten steigen mit den Nahrungsmitteln ein, welche die Landwirtschaft produziert. Es wird zwischen Getreide, Kartoffeln, Milch, Fleisch und Eiern unterschieden. Eine besondere Ausdifferenzierung erfahren die Feldfrüchte Kartoffel, Spargel und Rübe sowie die Getreidesorten Mais, Gerste, Roggen, Weizen und Hafer. Zudem wird die Weidewirtschaft erläutert. Daran schließen sich Seiten an, die verschiedene Möglichkeiten der Düngung darlegen. Zudem wird erläutert, dass es Nützlinge, wie den Marienkäfer oder die Eulen und Spitzmäuse gibt, die die Schädlinge des Ackers jagen. Im Weiteren werden auch die Arbeiten auf dem Feld im Verlauf der Jahreszeiten dargestellt und die Fruchtfolge als grundlegender Ablauf für die Feldbestellung erklärt. Außerdem wird beschrieben, wie in Biogasanlagen Wärme erzeugt wird und welche Pflanzen dafür gut geeignet sind. Als weitere Maßnahme zur Biodiversitätserhaltung werden Blühstreifen und Lerchenfenster vorgestellt. Wie eine Art Übergang wirkt die Doppelseite zu den Lebewesen „Auf dem Acker“, die bedeutende Pflanzen, Insekten und Wildtiere zeigt. Im Anschluss daran werden grundlegende Prozesse und Maßnahmen der Weidehaltung dargelegt. Probleme wie Überweidung oder Verwilderung von Weideflächen oder die Pflege von mageren oder wirtschaftlich unattraktiven Geländeformen durch Ziegen und Schafe werden angesprochen. Besondere Betrachtung erfährt das Mähen. Hierbei werden die Abläufe vor, während und nach der Mahd beleuchtet. Einen zweiten Übergang markiert die Doppelseite mit den Blumen, Tieren, Reptilien, Amphibien und Wiesenvögeln, die das Leben auf der Wiese repräsentieren. Daran gliedert sich eine Doppelseite zum Obstbau, die neben beliebten Obstsorten auch die Tätigkeit und Bedeutung der Bienen aufzeigen. Auch der Teichwirtschaft wird Rechnung auf einer Doppelseite getragen, wobei bekannte Süßwasserfische gezeigt und das Leben im Ökosystem See thematisiert wird. Abschließend findet sich eine Doppelseite zu Tieren und Pflanzen im und am Wasser. Im Folgenden stehen der Schutz und die Pflege der angesprochenen Ökosysteme im Vordergrund. Es werden die Bewirtschaftung der Flächen, der Hecken, Gräben und Wegeränder sowie die Pflege des Waldes aufgegriffen. Die Holzwirtschaft und die Funktion des Waldes erfahren dabei besondere Berücksichtigung. Auf den letzten Seiten wird der Gemüsebau sowie die Arbeit auf dem Bauernhof beschrieben. Dazu zählen vor allem die täglichen Arbeitsabläufe und der Aufbau einer Hofstelle. Auch die Wildtiere, die direkt vom Leben auf dem Hof profitieren, da sie Nahrung und Schutz finden, werden gezeigt. Zuletzt wird die Möglichkeit des Besuches eines Bauernhofes angesprochen, der sowohl für die Bäuer:innen als auch für die Besuchenden lehrreich sein kann. Die letzte Seite zeigt ein Mini-Lexikon.
Reflexion
Wie die Analyse der Seiten gezeigt hat, ist das Sachbuch informativ, schüler:innengerecht und abwechslungsreich gestaltet. Zudem kann gesagt werden, dass es einer klaren Struktur folgt und für die junge Leser:innenschaft logisch aufgebaut ist. Zu beachten ist, dass es sich explizit auf das Bundesland Niedersachsen bezieht, was an vielen Stellen immer wieder deutlich gemacht wird und aufgrund der großen regionalen Unterschiede in der Landwirtschaft einen intensiven altersgerechten Einstieg bietet.
Die Texte sind kurz und knapp formuliert. Sie machen nur etwa 15 bis 20 Prozent einer Seite aus. Für die jungen Lernenden ist dies von Vorteil, da sie so motiviert werden können. Inhaltlich sind sie jedoch weniger gut gelungen. Es finden sich darin zahlreiche Fachbegriffe und Fremdworte, die für die Kinder nicht zu verstehen und auch aus dem Kontext schwierig zu erschließen sind. Nähere Erklärungen, zum Beispiel zum Begriff „Mineraldünger“ und wie dieser sich von „Naturdünger“ unterscheidet, wären wünschenswert. Wenn Erläuterungen vorgenommen werden, so sind diese zu knapp und wenig aussagekräftig, wie das Beispiel „Fruchtfolge“ auf Seite 12 zeigt. Für den Kontext des Buches wesentliche Begriffe, wie Artenvielfalt oder Biodiversität werden einfach genutzt, ohne eine weitere Erläuterung im Text.
Ferner werden Wörter synonym genutzt, wie Gülle und Jauche, die jedoch nicht das gleiche meinen. Darüber hinaus sind die Sätze teilweise sehr lang und verfügen über komplexe Hauptsatz-Nebensatz-Strukturen, die die ungeübten Erstleser:innen nicht erfassen können. Dazu zählen auch die Komposita oder die Arbeit mit unnötigen Füllwörtern.
Die Erläuterungen sind in Teilen irreführend. So wird auf der Doppelseite zum Boden mit den Begriffen „guter“ oder „schlechter“ Boden gearbeitet, dann jedoch davon gesprochen, dass Kartoffeln oder Spargel auf schlechten Böden gute Erträge erzielen. Hier wäre eine kindgerechtere Erläuterung notwendig.
Die Abbildungen sind insbesondere am Anfang idyllisiert. Das fällt besonders bei der Milchwirtschaft ins Auge. So sind die Milchkühe nicht im modernen Boxenlaufstall mit automatisierter Melkanlage, Fütterungssystem und maschineller Boxenreinigung untergebracht, wie es mittlerweile in den Ställen üblich ist. Obwohl an einigen Stellen der Grad der Technisierung und die Modernität in diesem Kontext angesprochen werden, werden die Abbildungen dem nicht gerecht. Alles in allem sind die zahlreichen Abbildungen jedoch gelungen und charakterisieren die Tiere und Pflanzen der verschiedenen Lebensräume sehr gut.
Zudem wäre es schön, wenn auch Maßnahmen genannt werden, die die Lesenden zur Erhaltung und Förderung der Biodiversität im eigenen Nahraum durchführen könnten. Dazu wären das Anlegen von Blühwiesen oder Insektentränken möglich.
Insgesamt hat sich das Sachbuch hohe Maßstäbe gesetzt: Es möchte „ein realistisches, sachlich richtiges Bild der modernen Landwirtschaft“ zeigen. Diese Ziele erreicht es, wie die Ergebnisse der vorliegenden Analyse offenlegen, nur bedingt. Die Texte sind sehr kompliziert und erläutern die wesentlichen Fachbegriffe nicht umfassend, wie es nötig wäre. Zugleich kommt es insbesondere bei der hochtechnisierten Milchwirtschaft zu Idyllisierungen, die der modernen Branche nicht gerecht werden. Dennoch ist das Buch für die Einführung von Themen wie Biodiversität und Artenvielfalt im Zusammenhang mit der regionalen Landwirtschaft gut geeignet, sofern eine die Lesenden unterstützende erwachsene Person die entsprechenden Hilfestellungen gibt.
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