Zukunft für alle. Eine Vision für 2048.
Das vorliegende Buch „Zukunft für alle. Eine Vision für 2048.“ ist 2020 erstmals im Oekom-Verlag erschienen und wurde vom Konzeptwerk Neue Ökonomie herausgegeben. Dabei handelt es sich um einen gemeinnützigen Verein, der sich für neue nachhaltige Formen des Wirtschaftens (ökologisch, sozial, demokratisch) einsetzt. Das Buch möchte Antworten auf die großen Fragen geben, die sich angesichts der aktuellen, vielzähligen sozial-ökologischen Transformationsprozesse stellen. Die vielfältigen Krisen von Klimawandel bis zur wachsenden sozialen Ungleichheit ermutigen Menschen, Wege nach neuen Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen zu suchen. Wie diese für die verschiedenen Bereiche, wie z.B. Arbeit, Landwirtschaft, Bildung oder Gesundheit aussehen können, zeigt dieses Werk. „Zukunft für alle“ scheint daher gut für den Einsatz in Lehr-Lern-Settings geeignet, um in Schüler:innen Handlungsmut zu wecken, ihnen positive Bilder einer Zukunft aufzuzeigen und Lust an der partizipativen Mitgestaltung zu machen. Lehrkräfte und pädagogische Mitarbeiter:innen können sich die skizzierten Zugänge gut zu Nutze machen und sie in ihre Lernarrangements integrieren. Das Thema Landwirtschaft wird explizit im Kapitel 10 „Ernährung und Landwirtschaft“ thematisiert, während „Bildung“ in Kapitel 14 Berücksichtigung findet.
Lernziele und Kompetenzen
Werden die Inhalte des Werkes in den Unterricht eingebracht, so können die Lernenden vielfältige inhaltsbezogene Kompetenzen im Bereich Nachhaltigkeit erwerben. Sie lernen, wie die unterschiedlichen Bereiche (z.B. Wirtschaft, Arbeit, Technik oder Landwirtschaft) auf den großen Transformationsprozess reagieren (vgl. Schneidewind 2018), denn der Mensch steht diesen massiven ökologischen, ökonomischen, institutionellen, technologischen und kulturellen Umbrüchen nicht starr gegenüber, sondern initiiert, prägt und gestaltet diese entscheidend mit (vgl. ebd. S.11). Auch die Grundwerte, mit denen die Gesellschaft in diese Transformation geht und welche davon wirklich wesentlich sind bzw. welche es zu überwinden gilt, werden intensiv beleuchtet. Hier spannen sich vielfältige Anknüpfungsmöglichkeiten für den Unterricht auf, die von einer konkreten Thematisierung der einzelnen Beispiele aus den Kapiteln, bei der auch die Prozesse miteinander verglichen oder Erkundungen durchgeführt werden (z.B. Strukturwandel), hin zu einem Hinterfragen von konkreten Werten anhand literarischer Beispiele reichen (z.B. Analyse von Orwells „Farm der Tiere“ und Hinterfragung des Anthropozentrismus/ Speziesismus).
Als besonders wertvoll sind die Möglichkeiten des handlungsorientierten und transformativen Lernens, die daraus erwachsen und konkret auf den Erwerb prozessorientierter Kompetenzen abzielen. Diese können als transformative Lernmethoden in Lernwerkstätten, beim partizipativen Lernen oder beim Lernen durch Engagement umgesetzt werden (vgl. hierzu Pettig & Ohl 2023).
Aufbau und Analyse der Kapitel
Das Buch liegt in der digitalen Fassung vor. Es verfügt in der gebundenen Form über einen Softcovereinband. Im Buch wird zunächst das Impressum abgedruckt, worauf das Titelbild und das Inhaltsverzeichnis folgen. Vor der Aufreihung der Kapitel und Themen des Werkes findet sich ein kleiner Aufruf, sich in das Jahr 2048 hineinzudenken und einige zentrale Fragen, die im weiteren Verlauf aufgegriffen werden, zunächst für sich zu überlegen (Wie bewegst du dich im Jahr 2048 fort? Was isst du? Wie verbringst du deine Zeit?). Darauf wünscht das Buch eine „gute Reise“ beim Lesen und stellt das Gesamtwerk vor. Zunächst wird auf die Grundlagen der Vision der Autor:innen eingegangen, dabei werden z.B. Grundwerte dargelegt oder die Notwendigkeit einer Transformation aufgezeigt. Es schließen sich 15 Kapitel an, die Zukunftvisionen für unterschiedlichste Bereiche zeigen, darunter Wirtschaft (3), Ernährung und Landwirtschaft (10) oder Bildung (14). Während die ersten sieben Kapitel eher auf die Grundlagen einer neuen Wirtschaft und Gesellschaft eingehen, beschreiben die Kapitel acht bis 15 verschiedene Gesellschaftsbereiche näher. Die Kapitel beinhalten neben den Erläuterungen auch Geschichten, Erlebnisse sowie Briefe aus einer utopisch skizzierten Zukunft und möchten Erklärungen, offene Fragen oder Kontroversen aus der Gegenwart entgegenstellen. Zugleich werden auch Initiativen und Wege aufgezeigt, die es dieser Tage (2020) bereits gibt und die eine Zukunft für alle fest im Blick haben. Der abschließende oder ausleitende Teil des Werkes skizziert, wie die Autor:innen den zur Diskussion stehenden Zeitraum gefüllt und beleuchtet haben. Dabei wird besonderes Augenmerk auf Transformationsprozesse und die Methodik gelegt. Abschließend folgt die Danksagung.
Reflexion unter besonderer Berücksichtigung des Einsatzes in Bildungssettings
Nach der Analyse der Kapitel bleibt festzuhalten, dass das Werk anschaulich und vielfältig gestaltet ist. Zudem zeigen die Bilder und schematischen Darstellungen ein spannendes, modernes und futuristisches Gesamtbild, dass die Schüler:innen, die sich mit den Inhalten auseinandersetzen, motivieren dürfte. Vor allem für ältere Zielgruppen ab der 9. Klassenstufe dürften die skizzierten Utopien exzellente Anlässe zur weiteren Diskussion bieten. Diese sollen nun exemplarisch für das Kapitel zehn: „Ernährung und Landwirtschaft“ reflektiert werden.
Im Kern des Kapitels steht die Vorstellung einer Utopie für das Jahr 2048, in dem die folgenden Grundsätze gelten sollen: kein Hunger, keine Lebensmittelspekulationen, keine Dumpinglöhne, kein Privateigentum am Boden (Rückkehr zum Allmendeprinzip) und keine industrielle Landwirtschaft. Zunächst wird die Annahme vorausgestellt, dass die Logik der Effizienz überwunden ist, sodass die Grundnahrungsmittel für alle Menschen zur Verfügung stehen. Es werden keine Lebensmittel mehr weggeworfen und alle haben genug Nahrung zur Verfügung. Die Frage danach, welche Instanz definiert, welche Nahrungsmittel diese „Grundnahrungsmittel“ darstellen bleibt jedoch offen. Dabei muss zwangsläufig reflektiert werden, dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen auch verschiedene Bedürfnisse, die sich aus den verschiedensten Gründen ableiten lassen (z.B. Unverträglichkeiten, kulturelle/religiöse Rahmenbedingungen, etc.), besitzen. Zugleich muss diese anthropozentristische Perspektive hinterfragt werden, da andere Spezies, wie z.B. Tiere oder Pflanzen in dieser Argumentation unberücksichtigt bleiben. Dieses sind nur einige Hinweise zu zwangsläufigen Diskussionslinien und Diskursen, die zu den vorgeschlagenen veränderten Denk- und Handlungsmustern aufkommen. Naturgemäß greifen Zukunftsszenarien dieses nicht auf, sondern skizzieren schlicht ein gewünschtes Bild der Zukunft. Auffällig ist allerdings bei den Ausführungen, dass sie Möglichkeiten wie die Digitalisierung oder weitere Technisierung und Spezialisierung nicht aufgreifen. Zwar stehen sich aktuell diskutierte Vorschläge für Transformationsprozesse häufig unvereinbar gegenüber und es muss eine Wahl getroffen werden, für die Digitalisierung trifft dieses jedoch nicht zu. Sie findet sich in der Regel in allen Zukunftsentwürfen wieder.
Hier könnten erste Argumentationsstränge der Lernenden ansetzen, die sich mit den diversifizierten Ernährungsgewohnheiten auseinandersetzen oder die Bedürfnisse unterschiedlicher Tierarten in den Blick nehmen. Gemeinsam könnte darüber diskutiert und ein Konzept für eine „Nachhaltige Ernährung für alle“ überlegt werden. Dabei könnte auch die Erkundung von Unternehmen der Nahrungsmittelbranche (z.B. Algenfarm) unterstützend wirken und neue Impulse für die Überlegungen bieten.
Ein weiterer Gedankengang, der skizziert wird, ist die Rückkehr zu kleinbäuerlichen Strukturen, die für mehr Diversität im Anbau und in der Vielfalt der Arten sorgen soll. Agrarökologische Perspektiven, die langfristig geplant werden und mit Überlegungen zur „Essbaren Stadt“ und zur Kreislaufwirtschaft einhergehen, werden dargelegt. Die Einrichtung genossenschaftlicher Organisationsformen wird dabei als Ziel formuliert und die Einführung von gemeinsamen Ernteeinsätzen, lokalen Märkten und Verteilungsgrenzen von 200 Kilometer Umkreisen sowie die stärkere Fokussierung von solidarischer Landwirtschaft vorgeschlagen. Eine kritische Betrachtung dieser Ansätze, die vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Landwirtschaft in der DDR reflektiert werden muss, erfolgt nicht. Hier kann die Schule einen wichtigen Beitrag zum fächerübergreifenden Unterricht leisten, in dem die historische Analyse, z.B. in Form von Zeitzeugenbefragungen, Sichtung von Quellenmaterial (Filme, Texten, etc.) oder Erkundungen von Produktionsgenossenschaften, der kritischen Reflexion der Zukunftsutopie vorausgeht. Auf diese Weise können mögliche Problemstellungen aufgriffen und direkt in die Ausgestaltung möglicher Zukünfte für die landwirtschaftliche Produktion einfließen, in dem z.B. Leitlinien für die Umgestaltung des Schulhofes oder Schulgartens aufgestellt werden. Im Anschluss könnte die gemeinsame Aktion, ganz in der Manier eines Arbeitseinsatzes erfolgen. Wichtig ist dabei auch eine bessere Wahrnehmung und Wertschätzung des Bodens, als wertvolle und schützenswerte Ressource, die durch eine ganzjährige Bodenbedeckung vor Erosion geschützt werden kann und durch Anbaukonzepte wie Agroforst, Permakultur oder Terra Preta gut unterstützt werden, die das Buch im Weiteren ausweist.
Ganz zentral ist ferner die Erläuterung, „warum die Zukunft nicht vegan ist“ auf der letzten Seite des Kapitels. Um Grünland oder andere marginale Standorte nutzen zu können und die Felder zu düngen, ist die Tierhaltung ein wichtiger Bestandteil. Es gilt, die tierischen Produkte mit in die Kreislaufwirtschaft zu integrieren und eine Wertschätzung für das Nahrungsmittel Fleisch zu initiieren, indem ein Nahraumbezug und/oder Lebensweltbezug z.B. durch gemeinsame Arbeitseinsätze (Tierfütterung, Schafschur, Weideauf-/-abtrieb, etc.) erfolgt. Nur auf diese Weise kann eine Umorientierung beim Fleischkonsum erfolgen. Auch hier kann mit dem regionalen außerschulischen Lernen ein wichtiger Grundstein gelegt werden.
Insgesamt lässt sich sagen, dass das Buch spannende Diskussionsanlässe (nicht nur) für den schulischen Kontext liefert. Es werden zahlreiche Problemfelder angeschnitten und Transformationspfade sowie Perspektiven aufgezeigt. Das Material kann aufbauend auf die schulfachliche, gern fachübergreifende oder fächerverbindende Thematisierung genutzt werden. Die skizzierten Konzepte verbunden mit einer direkten Anschauung am praktischen Beispiel, z.B. im Rahmen einer Projektwoche oder Lernwerkstatt, würden dem Anspruch transformativen Lernens insbesondere im Hinblick auf Zukunftsorientierung, prozesshaftem Denken und der Entwicklung von Visionen einlösen. Es könnte zudem hilfreich eingesetzt werden im Rahmen von Zukunftswerkstätten und vergleichbaren Methoden im Unterricht, da es häufig an Grundlagen wie der Beschreibung von Szenarien mangelt. Wichtig ist aus heutiger Sicht zudem ein darauf aufbauender Transfer mit einer Handlung im eigenen Bezugsraum, sodass das generierte Wissen direkt angewendet und eingeübt werden kann. Nur so lässt sich wirklich langfristig eine Trendwende (vom Umweltwissen zum Umwelthandeln) initiieren.
Details Eintrag
- Alle