Bauernhofpädagogik andersrum
Das Lehrbuch „Bauernhofpädagogik andersrum: Aufrichten statt unterrichten. Lernen und Erleben mit den Fragen der Gäste“ ist 2019 erstmalig beim Books-on-Demand-Verlag in Norderstedt erschienen. Es will eine Methode vermitteln, die aufzeigt wie Bauernhofpädagog:innen mit Fragen der Gäste umgehen können, um eine intensive Begegnung zwischen dem Hof und seinen Besucher:innen zu ermöglichen. Mithilfe von interaktiven Übungen und eine direkte Ansprache und Aktivierung der Sinne, verspricht das Buch durch die Kombination neuer und alter Methoden eine Erweiterung der gängigen pädagogischen Arbeitspraxis auf dem Bauernhof. Als solches empfiehlt es sich für Personal auf Schulbauernhöfen, Bauernhofpädagog:innen und interessierte Personen, die Besucher:innen jeden Alters auf landwirtschaftliche Betriebe führen.
Lernziele und Kompetenzen
Die Bauernhofpädagogik hat zum Ziel, Primärerfahrungen mit Tieren und Pflanzen sowie den direkten Bezug zur Landwirtschaft anzuleiten und wiederherzustellen. Bauernhöfe sind optimale Lern- und Erlebnisorte für Kinder und Jugendliche, da sie nachhaltiges und handlungsorientiertes Lernen ermöglichen. Die Methode, die im Lehrbuch vorgestellt wird, gliedert sich in diese Angebote ein. Dennoch gibt die „Gesprächslandkarte 8x8“ einen innovativen und eher philosophisch angelegten Zugang, bei dem die Wahrnehmungen und Fragen des Gastes eine besondere Akzentuierung erfahren. Das Modell zeigt eine mehrfache Polarität: „Vergangenheit und Zukunft treffen in der Frage [die der:die Besuchende stellt] aufeinander“ (S. 32). Die persönliche Meinung und Zielsetzung des Gastes werden in der Frage mit den Wahrnehmungen vor Ort und den Fakten, die er:sie zu wissen meint, transportiert und an den:die Pädagog:in vor Ort herangetragen. Er:sie ist damit zentrales Schlüsselelement bei dieser Methode und steuert die möglichen Wege für Wahrnehmung und Faktenwissen in der Zukunft. Durch gezieltes Nachfragen seitens des:der Bauernhofpädagog:in wird der Kompetenzerwerb im jeweiligen Setting gesteuert.
Das Lehrbuch gibt gezielte Handlungsanweisungen zum Durchführen der Methode, in dem die Lernenden direkte Eintragungen in Schaubilder vornehmen können. Über die Visualisierungen und Fallbeispiele soll eine schnelle und einfache Einarbeitung gelingen. Zudem sind Möglichkeiten aufgeführt, die das Aktivieren der Sinne anregen sollen.
Aufbau und Analyse der Kapitel
Das Lehrbuch verfügt über ein Softcovereinband und ein Taschenbuchformat. Es beginnt mit einem Vorwort und einer kleinen Einführung, in denen die Entwicklung der Methode dargelegt und den daran beteiligten Personen gedankt wird. Darauf folgen die insgesamt sieben inhaltlichen Kapitel. Diese sind wiederum in weitere Unterkapitel aufgegliedert.
Das erste Hauptkapitel setzt sich mit den „Widerständen“ auseinander, denen sich die Bauernhofpädagog:innen häuftig gegenübergestellt sehen: Rechtfertigung, Angst und Zweifel sind Elemente, die jeden Besuch von Gästen auf dem eigenen Hof (teilweise unterschwellig) begleiten. Das Kapitel dient dazu, den Lesenden aus seiner Lebenswelt abzuholen. Im folgenden Kapitel wird die „Gesprächslandkarte 8x8“, das Herzstück des Buches vorgestellt. Mit Hilfe des deduktiven Vorgehens werden die einzelnen Elemente des Modells (Wahrnehmung, Meinung, Vision, Wege) dargelegt und die Bedeutung des Fragenstellens aufgezeigt. Im nächsten Kapitel erfolgt dann der Blick in die Praxis, bei dem die einzelnen Elemente in der praktischen Umsetzung erläutert werden. Es folgen zwei Kapitel, die sich mit den Abläufen bei einer Hofführung auseinandersetzen. Exemplarisch wird mithilfe von Schlagworten zunächst aufgezeigt, welche Aspekte bei der Planung zu beachten sind: Ortsfragen, Zeitfragen, Beziehungsfragen. Auch die Kunst, die richtige (Nach-)Frage zu stellen, wird thematisiert. Im Anschluss werden Fallbeispiele aus dem Alltag aufgegriffen, die sich mit unterschiedlichen Situationen und den anknüpfenden Herausforderungen beschäftigen (Mediennutzung während der Führung, Umgang mit großen Gruppen oder Umgang mit Angst und Zweifel). Das letzte inhaltliche Kapitel wendet sich der Aktivierung der Sinne und dem handlungsorientierten Lernen zu. Neben den klassischen sieben Sinnen wird auch darauf eingegangen, wie zum Beispiel Bewegung, Gleichgewichtsschulung oder Sprache, beim Hofbesuch geschult werden können. Das Lehrwerk schließt mit einem Fazit und Ausblick, einer Kurzvorstellung der Autor:innen, dem Übungs- und Quellenverzeichnis.
Reflexion
Das Lehrbuch ist insgesamt sehr anschaulich und praxisnah aufgebaut. Es besticht durch seine Strukturierung sowie den direkten Aufforderungscharakter, der insbesondere durch die eingearbeiteten Schaubilder und Linien für eigene Notizen zum Ausdruck gebracht wird. Zudem bietet es einen direkten Anwendungs- und Lebensweltbezug für die angesprochenen Pädagog:innen.
Die Texte sind einfach geschrieben, sodass sie leicht und gut verständlich sind. Immer wieder werden wesentliche Begriffe fett hervorgehoben, sodass sie schnell ins Auge springen. Die Absätze sind gut gewählt und unterbrechen die Gedankengänge nicht. Durch Zwischenüberschriften wird eine gewisse Struktur hergestellt, wenngleich die Nummerierung der Kapitel fehlt. Dies wäre mit Blick auf die optimierte Arbeit mit dem Buch sinnvoll. Eingeschoben werden immer wieder praktische Beispiele und kleine Übungen, mit denen der bereits beschriebene Aufforderungs-, Handlungs- und Durchführungscharakter erzeugt wird. Besonders deutlich wird das bei der Vorstellung der Gesprächslandkarte: Das Modell wird anschaulich in einer schematischen Skizze dargestellt, die einprägsam ist. Direkt daran schließt sich ein weiteres Schaubild an, mit dem der:die Lesende direkt arbeiten kann. Ihre Gedanken und die eigenen Beispiele aus der erfahrenen Praxis können unmittelbar eingetragen werden. An diese Ausführungen schließt sich die Arbeit mit Fallbeispielen an, an denen die Kernelemente des Modells nachgewiesen und ausgeführt werden. Entsprechend sind die Bilder im Buch zielführend und gewinnbringend eingesetzt. Sie dienen dem Kompetenzerwerb und erleichtern den Zugang für die Lesenden.
In der Praxis kann der Ansatz in der Bauernhofpädagogik ergänzend zu etablierten handlungsorientierten Vorgehensweisen einen Beitrag zur Weiterentwicklung leisten. Denn die reflexive Ebene, welche die Autor:innen ansprechen, sollte Bauernhofbesuche begleiten. Mit der Gesprächslandkarte 8x8 erhalten Pädagog:innen ein Konzept, wie die Einstellungen und das Mindset der Gäste aufgegriffen werden kann. Dies steht in der transformativen Bildung im Mittelpunkt. Eine Weiterentwicklung der Bauernhofpädagogik um diese Ebene ist erforderlich und sehr zu begrüßen. Die Methode stellt aus unserer Sicht keinen für sich stehenden Ansatz zur Gestaltung von Hoferkundungen für Kinder und Jugendliche im Schulkontext dar. Bei Hoferkundungen mit Schüler:innen sind die Handlungsorientierung und die Begegnungsmöglichkeiten mit den originalen Gegenständen zentral. Eine feste didaktisch-methodische Strukturierung bei Erkundungen, z.B. in Form eines Stationenlernens oder Projektarbeit, ist umgänglich. Ebenso die schulische Vor- und Nachbereitung, die in ihrer positiven Wirkung mehrfach empirisch belegt sind (vgl. z.B. Schockemöhle 2009). Ferner bietet der rein philosophische Zugang Schwierigkeiten beim Einsatz für diese Zielgruppe, insbesondere für Schulklassen sind Methoden erforderlich, die die ganze Kohorte aktiveren und einbeziehen. Hier bräuchte es eine Weiterentwicklung. Zudem sollten Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie diese erfolgen können.
Abschließend bleibt zu sagen, dass das Lehrwerk einen spannenden neuen und innovativen Zugang für die Arbeit mit Gästen auf landwirtschaftlichen Betrieben ermöglicht. Das Konzept ist gut erläutert und wird mit vielen Praxiselementen verknüpft eingeführt, sodass jeder:jede Interessierte sich gut darin einarbeiten kann. Etwas mehr Struktur, die durch eine Nummerierung der Kapitel bereits gegeben werden könnte, sollte jedoch eingeführt werden. Insgesamt stellt das Buch den Ansatz gut vor. Er kann den Anspruch einer transformativen Bildung fördern, indem die reflexive Ebene in der Bauernhofpädagogik gestärkt werden kann. Für Kinder- und Jugendgruppen in schulischen Lehr-Lern-Settings erscheint er nur additiv zu bisherigen Vorgehensweisen geeignet.
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