Mehr Mut zur Nachhaltigkeit. 20 Porträts von engagierten Menschen aus Nordrhein-Westfalen
Das vorliegende Werk „Mehr Mut zur Nachhaltigkeit. 20 Porträts von engagierten Menschen aus Nordrhein-Westfalen“ ist 2022 im oekom-Verlag erschienen. Herausgegeben wurde es von der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen. Es porträtiert 20 Personen, die sich für eine nachhaltige Entwicklung engagieren und (regionale) Lösungen zur erfolgreichen Bewältigung von Transformationsprozessen (z.B. Energiewende, Ernährungstransformation, Mobilitätswende oder digitale Wende) gefunden haben. Das Buch eignet sich für Personen in Bildungskontexten, die ausgehend von einem lösungsorientierten Ansatz (Hoffmann 2021) unterrichten oder die dargestellten Personen in ihre Lehrtätigkeit im Sinne eines Service Learnings oder außerschulischen Lernens einbinden möchten. Zugleich ermutigen die Projekte, selbst aktiv zu Gestalter:innen des Wandels zu werden und die Ideen gegebenenfalls in das eigene Umfeld zu übertragen. Aus der Perspektive der Landwirtschaft sind besonders die Beispiele zur Ernährungstransformation, zum Artenschutz sowie zu regionalen Wirtschaftskreisläufen interessant.
Didaktische Einsatzmöglichkeiten
Die Auseinandersetzung mit den Beispielen kann sowohl auf einer individuellen Ebene als Vorbereitung auf Lehr-Lern-Einheiten genutzt werden als auch direkt im Unterricht eingebettet erfolgen.
Beim Lesen der Beispiele im Selbststudium können Lehrende zahlreiche Ideen generieren, die sich in Bildungskontexten einbringen lassen. So besteht die Möglichkeit, die Personen in die Bildungsstätte einzuladen und sie als Expert:innen von ihrem Nachhaltigkeitsengagement berichten zu lassen. Auch ein Besuch des Unverpackt-Ladens oder einer Klimabildungseinrichtung kann unter geeigneten Rahmenbedingungen, z.B. eines Projekttages oder einer Projektwoche, erfolgen. Sofern die Entfernung eine unüberwindbare Herausforderung darstellt, kann über virtuelle Erkundungen oder digitale Angebote der Personen und Einrichtungen ein Zugang erfolgen.
Für den Einsatz in Lehr-Lern-Settings empfiehlt sich die Implementierung der Beispiele im Rahmen eines lösungsorientierten Unterrichts (Hoffmann 2021). Dabei werden im Gegensatz zur vorherrschenden Herangehensweise (Problemorientierung) kein unüberwindbares Problem an den Anfang des Unterrichts gestellt, was bei Jugendlichen vielfach zu Zukunftsängsten oder gar einer resignierenden Haltung führen kann, sondern echte, im Alltag funktionierende Lösungen, sogenannte „Geschichten des Wandels“ (vgl. Hoffmann 2021). So können die vorgestellten Personen und ihre Projekte als „Geschichten des Wandels“ verstanden und abgeleitet werden, inwiefern sie transferierbar auf die eigene Lebenswelt und das Lebensumfeld sind. In diesem Fall stehen prozessbezogene Kompetenzen, die im Anforderungsbereich III anzusiedeln sind, im Vordergrund: Beurteilung/Bewertung, Kommunikation im Besonderen jedoch Handlung und Partizipation. Transformative Lernformate, die bewusst auf die letztgenannten Kompetenzbereiche abheben und auf die Implementierung von Service-Learning-Angeboten setzen, lassen sich damit gut realisieren.
Aufbau und Analyse der Kapitel
Das Buch besitzt einen Softcovereinband und kommt im Taschenbuchformat daher. Es steigt ein mit dem Impressum und dem Inhaltsverzeichnis, dessen Kapitel nicht durchnummeriert sind, sondern den Namen der Person tragen, um die es geht, ergänzt um einen Untertitel, der den jeweiligen Bereich des Engagements fasst. Insgesamt werden 20 Personen und ihr Einsatz vorgestellt. Eingerahmt werden die Darstellungen von einem Vorwort in dem der Vorstandsvorsitzende und die Geschäftsführerin der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen zu Wort kommen. Zudem wird die Projektförderung von engagierten Nachhaltigkeitsprojekten dargelegt. Darauf folgen die 20 Kapitel, in denen die Menschen vorgestellt werden, die sich besonders im Sinne der Stiftung engagieren. Jedes Kapitel beginnt mit einem großformatigen Foto der jeweiligen Person auf einer halben Seite, gefolgt von dem Namen und Titel des Kapitels sowie einer kurzen Einführung in die Arbeit auf der anderen Halbseite. Dort finden sich ferner ein Zitat der:s Engagierten sowie ein kleines Video, dass die Arbeit umfassend bildlich darstellt. Im Fortgang wird dann über die Person und ihr Projekt berichtet. Dabei werden Bilder und Texte genutzt, wobei letztere durch Zwischenüberschriften gegliedert sind und einen informierenden Charakter besitzen. Sie lesen sich etwa wie ein Zeitungsbericht, sodass kein Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhoben wird.
Das Buch schließt mit einer Kurzvorstellung des Autors und des Fotografen.
Reflexion
Die Analyse des Buches hat gezeigt, dass es einheitlich, strukturiert und qualitativ hochwertig gestaltet ist. Insbesondere die Bebilderung und der erhöhte Aufwand durch die Gestaltung der kleinen Videos, die die Personen vorstellen. Auch die Texte, die durch die Interviews einen informierenden, zeitungsartikelartigen Charakter aufweisen, zeigen die tiefgründige Recherche des Autors. Im Folgenden sollen drei Kapitel näher betrachtet werden: Valentin Thurn – „Wie funktioniert nachhaltige Ernährung?“; Ingrid Lagemann – „KlimaWelten Hilchenbach“ und Dr. Martin Sorg – „Wissenschaft im Dienst der Artenvielfalt“.
Valentin Thurn ist studierter Geograph, Ethnologe und Politikwissenschaftler. Nach seinem Studium wendet er sich dem Journalismus zu und produziert TV-Sendungen, Hörfunkbeiträge und gibt Sachbücher heraus. Mit „Taste the Waste“ hat er einen Dokumentarfilm produziert und mit „Taste of Heimat“ einen Verein im Ruhrgebiet gegründet, der über gesunde Ernährung, Lebensmittelverschwendung und -verluste aufmerksam macht und aktiv dagegen vorgeht. Er folgt darin dem Konzept des „Degrowth“, welches sich der Verringerung von Konsum und Produktion aus Nachhaltigkeitsgründen, sozialer Gerechtigkeit und Wohlbefinden aus medizinischer Sicht annimmt. Besonders spannend und für Lehrkräfte äußerst impulsgebend ist die Arbeit des Vereins „Taste of Heimat“ einem Modellkonzept des Großraums Köln. Darin werden Kindertagesstätten mit frischem und regional produziertem Obst und Gemüse versorgt. Lehrpersonen können diese Arbeit zum Anlass nehmen und selbst aktiv werden, in dem sie Kontakte zu anderen Bildungseinrichtungen suchen und ihre Konzepte für die Mensen dahingehend gemeinsam mit den anbietenden Unternehmen optimieren. Zudem kann dieses Konzept im Rahmen von Arbeitsgemeinschaften mit Schüler:innen diskutiert und angepasst werden, sodass es auf die individuellen schulischen Rahmenbedingungen passt.
Ingrid Lagemann ist ehemalige Lehrerin und Gründerin des Vereins KlimaWelten. Sie hat ihre ehemalige Grundschule, die nicht mehr ausreichend Platz für alle Schüelr:innen bot und mittlerweile in ein anderes Gebäude umgezogen ist, in das Vereinshaus der KlimaWelten umgebaut. Dort ist ein Klimabildungszentrum entstanden, in dem Bildungsprojekte zu verschiedenen Themen wie Urban Gardening, Versuche zum Klimawandel oder Seminar- und Fortbildungsveranstaltungen umgesetzt werden können. Die entsprechenden Grundvoraussetzungen für die Projekte und räumliche Infrastruktur ist vorhanden: ein großer Garten, ein vollausgestattetes Labor sowie eine Küche und geeignete Seminarräume. Gemeinsam mit anderen Vereinen wie dem NABU werden gegenwärtig weitere Angebote geschaffen. Problematisch sind allerdings die Weiterführung und Koordination der Angebote, die aktuell überwiegend durch Ehrenämter getragen werden. Für Kinder- und Jugendgruppen kann ein Besuch und die Wahrnehmung eines Angebotes des Vereins KlimaWelten im Vereinshaus sehr gewinnbringend sein. Insbesondere im Kontext Klimawandel, zu dem Versuche durchgeführt werden könnten, Projekte zu Themen wie Permakultur oder Green Gardening oder Kochkurse für die Zubereitung von regionalen/saisonalen Speisen, ließen sich sehr gut in die bestehenden Lehrpläne integrieren. Auch Langzeitprojekte, die bis zu einem Halbjahr durchgeführt werden können und mehrere praktische Interventionen vorsehen, bieten sich an. Wichtig ist jedoch, dass auch ein Transfer der jeweiligen Aktion in den individuellen Lebensraum erfolgt, z.B. in dem selbst eine Woche lang das Essen in der Schulmensa regional und saisonal gekocht wird oder in dem eine Diskussion gemeinsam mit den Stadt- oder Gemeinderäten zur Begrünung des Schulgeländes geführt wird.
Auch das Projekt von Dr. Martin Sorg, zum Thema Biodiversität bringt spannende Ergebnisse hervor. Insbesondere dem Insektensterben kommt bei der Auseinandersetzung mit landwirtschaftlichen Themen im Unterricht eine besondere Bedeutung zu. Würde er als Experte für Bildungssettings gewonnen, ließen sich zahlreiche Impulse setzen, die beispielsweise im Rahmen des Service-Learnings großes Potenzial bieten (vgl. Blum et al. 2021, S. 25ff). Er könnte die Lernenden in sein Labor einladen und die Zusammenhänge erläutern und sie anhand einfacher Experimente oder Modellversuche visualisieren. Auch daraus sollte sich aus der Perspektive transformativer Bildung ein konkreter Handlungsrahmen ergeben, in dem die Lernenden sich engagieren (Lernen durch Engagement) oder sich mit philosophischen Fragestellungen (Philosophieren im Erdkundeunterricht) auseinandersetzen (z.B.: Was passiert, wenn die Bienen aussterben?). Konkrete Schüler:innenprodukte könnten dabei Lernvideos sein, die an entsprechende Entscheidungsträger:innen geleitet oder auf einer Schulausstellung präsentiert werden.
Insgesamt lässt sich sagen, dass das Buch exzellente Anregungen bietet, die sowohl für die Vorbereitung auf den Unterricht als auch konkret im Unterricht, z.B. durch den Besuch eines Lernortes oder die Einladung eines:r Expert:in, genutzt werden können. Allerdings muss darauf verwiesen werden, dass eine Ebene der Handlung, in der die Lernenden ihre gewonnenen Erkenntnisse in die Praxis individuell, entsprechend ihrer Vorstellungen einbringen, für eine Bildung für Nachhaltige Entwicklung und transformatives Lernen zwingend erreicht und nach Möglichkeit auch ganzheitlich umgesetzt werden muss (vgl. Blum et al. 2021, S. 16). Denn nur auf diese Weise kann Bildung sein Potential für die große Transformation entfalten.
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