Seydlitz Erdkunde 1
Das Schulbuch „Seydlitz Erdkunde 1“ ist für die Haupt- und Realschulen im Bundesland Hessen konzipiert worden. Es ist 2019 erstmalig im Westermann-Verlag erschienen und für den Unterricht im Fach Erdkunde für die Klassenstufe 5/6 ausgelegt. Zum Schülerband sind Lehrermaterialien inklusive Schulbuchtexte in einfacher Sprache und CD-ROM, Kopiervorlagen sowie eine BiBox mit digitalen Unterrichtsmaterialien erhältlich. So können die Lerninhalte auch auf digitalen Endgeräten wie Smart-Boards oder Tablets im Unterricht eingesetzt werden. Das Thema Landwirtschaft wird im Kapitel 5 „Landwirtschaft“ angesprochen.
Lernziele und Kompetenzen
Die Lernenden bekommen mit der Bearbeitung der Seiten des Schulbuches die Möglichkeit, zahlreiche Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erwerben, die sich in den curricularen Vorgaben wiederfinden. In den hessischen Bildungsplänen findet sich allerdings die Besonderheit, dass an den Schulen mit Bildungsstandards, Kerncurricula und Lehrplänen gearbeitet wird. Alle drei werden gleichsam verwendet und ein klarer Bezugsrahmen für die Schulbücher fehlt. Während die Bildungsstandards Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK) und der jeweiligen fachdidaktischen Forscher sind, werden die Kerncurricula vom hessischen Kultusministerium erstellt. Da diese Curricula keine verbindlichen Lerninhalte vorgeben, erstellen Schulen eigene schulinterne Lehr- oder Arbeitspläne, die sich an beiden Vorgaben orientieren. Diese finden sich auch auf den Internetseiten des Kultusministeriums wieder. Es fehlt demnach an klaren curricularen Vorgaben. Um einen Rahmen für diese Rezension zu setzen, orientieren wir uns an den online abrufbaren Lehrplänen.
Für Realschule wird in diesen gefordert, dass die Bewässerungslandschaft in Südeuropa thematisiert wird. Das Lehrwerk setzt diese Forderungen auf einer Doppelseite zur Bewässerungslandwirtschaft in Südspanien um, auf der die Lernenden unterschiedliche Arten der Bewässerung kennenlernen. Eine weitere Doppelseite setzt sich mit dem Fischfang im Nordatlantik auseinander. Es wird der Aufbau von Hochseetrawlern und die Zucht von Fischen in Aquakulturen behandelt. Auch methodisch orientieren sich die Seiten des Lehrwerks am Lehrplan: Die erste Doppelseite ist daher interaktiv gestaltet und räumt den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit ein, eine Erkundung in den Supermarkt durchzuführen und über die eigenen Essgewohnheiten zu reflektieren. Auch die Gestaltung eines Infoplakates, dessen Informationen aus dem Internet oder andern Quellen gewonnen werden können, wird angeregt.
Kritisch zu bemerken ist allerdings bereits an dieser Stelle, dass einige Schulbuchthemen nicht kongruent zu den Vorgaben des Lehrplans sind. Dies ist daran erkennbar, dass der Titel der vorgesehenen Unterrichtsthemen lautet: „Europa deckt den Tisch“. Im Buch werden jedoch auch Früchte behandelt, die nicht in Europa vorkommen wie zum Beispiel die Banane oder der Kakao. Andere laut Lehrplan verbindliche Lerninhalte, wie Transportwege auf Schiene, Straße und in der Luft, werden im Buch nicht dargestellt.
Analyse und Aufbau der Kapitel
Beginnend mit einer physischen Karte Deutschlands im Einband folgen das Impressum und das Inhaltsverzeichnis. Darin finden sich die sechs Kapitel samt der Unterkapitel wieder. Auch ein Anhang gehört zum Lehrwerk. Nach dem Inhaltsverzeichnis ist eine Doppelseite abgedruckt, die Tipps zur Arbeit mit dem Buch gibt. Es werden die unterschiedlichen Arten von Schulbuchseiten erläutert, was insbesondere durch ihre Farbgebung bereits im Inhaltsverzeichnis auffällt. Es gibt gelbe Methodenseiten, auf denen wichtige fachspezifische Arbeitstechniken und fachübergreifende Arbeitsweisen erläutert und angewendet werden. Hinzu kommen die blauen Aktiv-Seiten, die handlungsorientierte Lernimpulse geben. Die grünen Extra-Seiten dienen der quantitativen Differenzierung und beinhalten ein fakultatives, ergänzendes Angebot zu den behandelten Themen. Die „Alles-Klar“-Seiten sind grau unterlegt und ermöglichen eine Anwendung des Gelernten am Ende jedes Kapitels. Auch die Aufgaben und deren verschiedene Farbgebung werden erklärt. So gibt es blaue Aufgaben, welche die Kompetenzen zu den grundlegenden Lerninhalten abdecken und grüne Aufgaben, die eine weitere Auseinandersetzung mit anderen Materialien erfordern. Aufgaben, die mit einem Stern versehen sind, dienen der qualitativen Differenzierung und bieten einen Lösungstipp im Anhang des Buches an. Darüber hinaus werden im Fließtext Fachbegriffe hervorgehoben.
Die Kapitel beginnen mit Einstiegsdoppelseiten, die großformatige Fotos zum jeweiligen Thema zur Verfügung stellen. Sie eigenen sich sehr gut, um die Lernenden auf die Thematik einzustimmen, erste Fragen aufzuwerfen und das Vorwissen zu aktivieren. Unmittelbar nach der Auftaktseite findet sich zumeist eine „Aktiv“-Seite, die durch methodische Hinweise handlungsorientiertes Lernen ermöglicht. Mithilfe von Bildern, Kästen und Aufgaben werden die Schüler angeleitet. Die Themenseiten halten vielfältige Medien bereit, die miteinander kombiniert werden: Bilder, Texte, Diagramme, Merk- und Infokästen sowie die Aufgaben finden sich darin wieder. Auch die „Extra“- und „Alles-Klar“-Seiten sind in jedem Kapitel enthalten. Der Anhang beginnt mit den Lösungstipps sowie einem Geo-Lexikon, in dem bedeutende Fachbegriffe definiert werden. Auch einige Karten, insbesondere thematische Karten zur Wirtschaft, Tourismus, zur naturräumlichen und politischen Gliederung Hessens, sind abgedruckt und erlauben ein schnelles Nachschlagen im Unterricht. Der Anhang schließt mit dem Bildquellenverzeichnis sowie der Karte im Einband – einer physischen Karte Europas- ab.
Reflexion
Durch das eingangs skizzierte Problem der fehlenden Passung der Lerninhalte zwischen Schulbuch, Kerncurriculum und Lehrplan ist es schwierig, das Schulbuch zu bewerten. Es ist jedoch zu sagen, dass es sich schülergerecht, altersadäquat gestaltet und die Lerninhalte anschaulich darstellt. Die Bilder und Fotos sind von durchschnittlicher bis guter Qualität, könnten allerdings zielführender und dosierter eingesetzt werden. Einige Seiten wirken durch die Vielzahl an Abbildungen, zu denen sich noch weitere Materialien wie Diagramme oder Statistiken gesellen, etwas überladen. Die Texte sind kurz, schülergerecht formuliert und stellen Bezüge zu den Materialien her. Wünschenswert wäre allerdings, dass die Schüler in den Aufgaben selbst zur Auswertung der Materialien angeleitet werden. Durch die fehlende curriculare Passung ist es schwierig, die Qualität der Aufgaben zu bewerten. Positiv ist, dass sie taxonomisch gegliedert sind und Operatoren genutzt werden, die für die betreffende Klassenstufe angebracht sind. Bei einigen wird jedoch deutlich, dass kein Bezug zu den Materialien und Texten auf der Doppelseite besteht. Insgesamt werden die Verknüpfungen der Themen untereinander nicht sichtbar, was es dem Schüler schwer macht, sich zu orientieren, neue aufbauende Kompetenzen zu erwerben und sein erworbenes Wissen zu vernetzen.
Die Seiten zur Landwirtschaft sind motivierend gestaltet und es wird ein Bezug zur Lebenswelt der Schüler durch die Materialien und die Textformate (Interviews) hergestellt. Wünschenswert wäre jedoch eine tiefgründigere Behandlung der Themen. Vielfach verbleiben die Texte auf einer oberflächlichen Darstellungsebene, was insbesondere bei der Doppelseite zur ökologischen und konventionellen Landwirtschaft, der Intensivtierhaltung am Beispiel des Schweins sowie der Seite zu den nachwachsenden Rohstoffen problematisch ist. Wichtig wäre es hierbei, dass die Texte die Sachverhalte wertneutral, informierend und eindeutig darstellen. Auch die Bilder und die Methoden sollten passend zum Lerninhalt ausgewählt werden. Zudem sind die Aufgaben nur eingeschränkt zielführend und unterstreichen die eher oberflächliche Betrachtung der Lerninhalte, da sie keinen Bezug zu den Materialien aufbauen. Sie sollten die Schüler gezielt zur Auswertung der Materialien auffordern und anleiten sowie zur Herstellung von Verknüpfungen anregen.
Problematisch anzusehen ist außerdem die Wahl der entsprechenden Raumbeispiele. So wird auf der Doppelseite zum Erdbeeranbau zunächst auf die regionale Produktion im Taunus und im Anschluss daran auf die internationalen Anbauregionen eingegangen. Dabei werden Neuseeland und China als Raumbeispiele gewählt. Wesentlich repräsentativer wäre jedoch die Wahl Spaniens oder Marokkos an dieser Stelle gewesen. Auch ein Bezug zu Erdbeeren in verarbeiteten Nahrungsmitteln wie Marmelade oder Joghurt wäre wünschenswert. Außerdem hätte ein Bogen zum Bewässerungsfeldbau in der Huerta geschlagen werden können. Bei dieser Doppelseite fällt auf, dass sie thematisch überfrachtet ist: es geht um Bewässerungs- und Terrassenfeldbau, Zitrusfrüchte, Obst- und Gemüse sowie den Anbau der Früchte unter Folie. Obwohl diese Vielfalt die Realität gut abbildet, ist dies für die Schüler eher verwirrend. Ein besseres und zielführenderes Beispiel wären an dieser Stelle die Niederlande (für Gemüse) oder Italien sowie Griechenland (für Zitrusfrüchte) gewesen.
Abschließend ist zu sagen, dass das Lehrwerk nur eingeschränkt zur unterrichtlichen Nutzung empfohlen werden kann. Dies kann zunächst mit der mangelnden curricularen Passung begründet werden. Obwohl es schülergerecht und durch die vielen Bilder motivierend gestaltet ist, fehlt es insbesondere den Texten und Materialien an dem nötigen Sachbezug. Die Lerninhalte sind aufgereiht, es werden keine Schwerpunkte ausgewiesen oder Strukturen und Zugehörigkeiten sichtbar gemacht. Es gleicht daher mehr einer Ansammlung und weniger einer inhaltlich geschlossenen, sinnstiftenden Zusammenstellung für den Unterricht. Auch die Aufgaben passen nicht zu den Materialien und lassen sich nicht umfassend damit beantworten. Lehrkräfte, die mit diesem Buch im Unterricht arbeiten, sollten ihre Unterrichtseinheiten und -stunden vorher gut strukturieren und gegebenenfalls andere Arbeitsmaterialien hinzuziehen, um den Schülern die Lerninhalte zu verdeutlichen und Zusammenhänge zwischen den Themen aufzuzeigen.Details Eintrag
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