Entwicklungen der Landwirtschaft in Deutschland - Eine Reise durch die Zeit von 1850 bis zur Gegenwart
Das Sachbuch „Entwicklungen der Landwirtschaft in Deutschland – Eine Reise durch die Zeit von 1850 bis zur Gegenwart“ ist 2019 in der ersten Auflage im DLG-Verlag erschienen. Es unternimmt den Versuch, einen Abriss der neueren Agrargeschichte anhand von statistischem Material vorzunehmen und schwerpunktmäßig beziehungsweise beinahe ausschließlich rein ökonomische Entwicklungen zu erläutern. Der Einfluss dieser Entwicklungen auf das Ökosystem oder eine holistische, systematische Betrachtung erfolgt nicht. Das Sachbuch bietet interessante und detailreiche Informationen für Lehrkräfte, Auszubildende, Studierende und Personen, die sich in ihrer Freizeit gerne mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Landwirtschaft auseinandersetzen. Unter diesem Setting soll die folgende Rezension analysieren, wie und in welchem Umfang dieses Werk Lehrkräften Möglichkeiten eröffnet, ihr Wissen über agrarökonomische und agrarhistorische Zusammenhänge aufzufrischen und in den Unterricht zu transportieren.
Lernziele und Kompetenzen
Die Themen, die im Buch angesprochen werden, finden sich in den Lehrplänen der Bundesländer wieder. Vor allem im Geographieunterricht, aber auch in den Gesellschaftswissenschaften, Geschichte oder Politik lassen sich die Inhalte einordnen. Die Darstellungen beschränken sich auf die agrarökonomischen Entwicklungen und suchen keine Anknüpfungspunkte zu aktuellen sozio-ökologischen Entwicklungen der Branche, die durch die Landwirtschaft beeinflusst werden oder zu neueren ökonomischen Ansätzen wie den externalisierten Kosten. Bei einer schulischen Behandlung des Themas Landwirtschaft und seiner Geschichte ist es jedoch erforderlich, diese grundlegenden Zusammenhänge aufzuzeigen. Ökonomische Faktoren, die im Buch behandelt werden, sind durchaus für den Unterricht interessant, aber aufgrund des sehr hohen Niveaus der Darstellung in einem solchen Sachbuch nur über einen erheblichen Aufwand seitens der Lehrperson im Unterricht nutzbar.
Themen der Agrar- und Ernährungswirtschaft haben traditionell ihren Platz in der Klassenstufe 5/6. Dort werden die grundlegenden Zusammenhänge dargestellt, wie unterschiedliche Produktions-, Haltungs- und Wirtschaftsformen. Ergänzend steht die Lebensmittelherstellung im Mittelpunkt, die häufig exemplarisch am Beispiel von Milch oder Fleisch erläutert wird. Prozesse wie der Strukturwandel, die Technisierung und Modernisierung der Branche werden ebenfalls behandelt. Die diskursive und kritisch-reflexive Auseinandersetzung mit diesen Sachverhalten, die auch mit der Vernetzung verschiedener Perspektiven auf das Thema einhergeht, erfolgt schwerpunktmäßig in Klassenstufe 9/10. Zentrale Entwicklungen wie der Klimawandel sowie die Nachhaltigkeitsziele werden im Unterricht zunehmend aufgegriffen und in den Kontext der Landwirtschaft eingeordnet. So spielen dann hier als Lösungsansätze beispielsweise der Trend zur Regionalität und Saisonalität eine Rolle.
Für den Unterricht in der Sekundarstufe I kann aus dem Sachbuch Daten- und Anschauungsmaterial für die Gestaltung von Arbeitsmaterialien genutzt werden, was aber einen hohen Aufwand der didaktischen Reduzierung durch die Lehrperson erforderlich macht. Anders könnte es im Bereich der Sekundarstufe II oder im Rahmen der dualen Ausbildung aussehen, wenn landwirtschaftliche Entwicklungen vertieft hinsichtlich ihrer ökonomischen Strukturen behandelt werden sollen.
Analyse und Aufbau der Kapitel
Das Sachbuch verfügt über einen harten, kartonierten Einband mit einem matten Coverbild. Nach der Titelseite folgen das Impressum und das Vorwort, in dem der Autor seine Motivation für das Schreiben des Werkes darlegt und seinen Helfenden dankt. Daran schließt sich das Inhaltsverzeichnis an. Das erste Kapitel beinhaltet die Einführung, in der die übergeordnete Fragestellung, der Betrachtungs- und Beobachtungszeitraum sowie andere vorgelagerte Erläuterungen vorgestellt werden. Im zweiten Kapitel greift der Autor vor und stellt insgesamt 31 Feststellungen/Thesen auf, die er aus seiner nachfolgenden Analyse abgeleitet hat und die die ökonomische Entwicklung der deutschen Landwirtschaft beschreiben. Dabei skizziert er bereits grobe Zusammenhänge. Das dritte Kapitel setzt sich mit der Nachfrage nach agrarischen Erzeugnissen sowie Nahrungs- und Genussmitteln im Wandel der Zeit auseinander. In diesem Kontext werden zunächst die Einkommensstrukturen beleuchtet, bevor die Nachfragesituation, die Preiselastizität und die Ausgaben für einzelne Lebensmittel pro Kopf betrachtet werden. Interessant ist, dass bei diesen Analysen zwischen Nahrungsmitteln tierischen und pflanzlichen Ursprungs unterschieden wird; alkoholische Getränke gesondert aufgeführt werden. Die folgenden beiden Kapitel vier und fünf thematisieren das innerdeutsche Angebot und den Handel mit Agrarprodukten. Dabei werden internationale Verflechtungen und Abhängigkeiten deutlich gemacht. Darauf aufbauend greift das sechste Kapitel die Preise für Agrar- und Ernährungsgüter auf, wobei nominales und reales Preisniveau unterschieden werden, Verbraucherpreisindexe zur Sprache kommen und die Gesamtveränderungen im Betrachtungszeitraum analysiert werden.
Im Weiteren folgen vier Kapitel (sieben bis zehn), die sich den entsprechenden Produktionsfaktoren der Landwirtschaft – Boden, Nutztiere, Arbeit und Kapital – zuwenden. Den ersten Schwerpunkt markieren die Bodennutzung, seine Produktivität und Intensität. Zwischen diesen Aspekten werden Zusammenhänge herausgearbeitet, die für die agrarwirtschaftlichen Entwicklungen von Interesse sind. Dazu zählen unter anderem Ertragssteigerungen durch Mechanisierung und agrochemische Bearbeitung. Auch Exkurse zu den anderen oben genannten Produktionsfaktoren werden hervorgebracht und Beziehungen verdeutlicht. Die Nutztierhaltung wird im achten Kapitel thematisiert. Zunächst werden Begriffe wie Besatzdichte und Großvieheinheiten erläutert und kontextualisiert, bevor die Strukturen der Fleischerzeugung herausgearbeitet werden. Im neunten Kapitel steht die Arbeit als Produktionsfaktor im Fokus der Betrachtung. Dabei werden auf die unterschiedlichen Formen der Arbeitsproduktivität eingegangen und Vergleiche zu anderen Wirtschaftssektoren und -bereichen angestellt. Als letzter Produktionsfaktor wird das Kapital angesprochen. Besonderer Fokus liegt auf der Kapitalproduktivität und auf den Investitionsvolumina nach Erwerbstätigen und bewirtschafteter Fläche. Schließlich wird im elften Kapitel eine Änderung des Blickwinkels vorgenommen: Die Perspektive geht nun verstärkt von den landwirtschaftlichen Betrieben aus. Zunächst werden Maße der Betriebs- und Unternehmensgrößen bestimmt bevor die Nutzfläche, die Tierbestände, der Kapital- und Arbeitseinsatz, die Produktionsvolumina sowie die Nettowertschöpfung der Betriebe betrachtet werden. Im letzten Kapitel erfolgen Einkommensrechnungen für die Landwirtschaft. Anhand der dargelegten Produktionsfaktoren wird die Nettowertschöpfung ermittelt. Das Buch schließt mit dem Literaturverzeichnis und einem Anhang, in dem die Datengrundlage für die erstellten Übersichten in den Texten abgedruckt ist.
Reflexion
Bereits in der Analyse des Sachbuches ist deutlich geworden, dass es eine sehr ausdifferenzierte, datenbasierte Grundlage bietet, sich mit ökonomischen Entwicklungen in der deutschen Landwirtschaft im Zeitraum von 1850 bis heute zu beschäftigen. Der Einband ist hochwertig, die Seiten verfügen über ein strukturiertes, einheitliches und übersichtliches Layout. Die Schriftart ist angenehm und lässt sich gut lesen.
Die Texte sind in Bildungs- und Fachsprache formuliert. Entsprechend verfügen sie über einen hypotaktischen Satzbau und erläutern komplexe Zusammenhänge. Im zweiten Kapitel werden die Aussagen durchnummeriert und die Nummerierungen fett gedruckt. Auf diese Weise erfolgt eine Hervorhebung und es wird eine Orientierung über den gesamten Zusammenhang gegeben. Didaktisch geschickt ist zudem die Einführung über den Betrachtungszeitraum und die Darlegung der Fragestellung. Im Weiteren hangelt sich der Autor an den Produktionsfaktoren entlang, was den „roten Faden“ aufrechterhält und den Lesenden an die Hand nimmt. Insgesamt wird deutlich gemacht, was aktuelle, ökonomische Probleme der Branche sind. Die Einbettung in gesamtgesellschaftliche Entwicklungen greift jedoch zu kurz. Soziale und ökologische Faktoren werden in die Betrachtungen kaum mit einbezogen. Zudem ist auch der Bezug zur regionalen Landwirtschaft über das Sachbuch nicht möglich.
Unterstützend für den Unterricht können überwiegend Tabellen und Diagramme aus dem Buch sein. Diese sind umfassend recherchiert, sehr aktuell und exzellent aufbereitet. Ihre Qualität ist ausgezeichnet. Sie eignen sich hervorragend für einen Einsatz im Unterricht, wenn das Anforderungsniveau der Lerngruppe der Zielgruppe des Buches entspricht und das Ziel eine sektorale Betrachtung wirtschaftlicher Entwicklungen ist. Vergleichende Betrachtungen z. B. zur Arbeitsproduktivität oder den Flächengrößen könnten so unterstützt werden. Auch ein Teil des Bildmaterials, überwiegend Fotografien, könnte eingesetzt werden, die die Unterschiede auch bildhaft vor Augen führen.
Abschließend kann gesagt werden, dass das Sachbuch eine exzellent recherchierte und materiell gut gefüllte Grundlage zur Auseinandersetzung mit der Thematik der ökonomischen Entwicklungen in der Landwirtschaft darstellt. Bezüge zu sozialen, ökologischen, gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen finden sich nicht, wodurch der Einsatz für den Unterricht eingeschränkt wird. Auch aktuelle ökonomische Ansätze wie die externalisierten Kosten, die Betrachtung von Produktionsnetzwerken u. a. m. lässt das Buch vermissen. Lehrkräfte in der Sekundarstufe I finden hier trotzdem gute Impulse für ihren Unterricht, wenn sie grundlegende ökonomische Perspektiven behandeln wollen und bereit sind, je nach Leistungsniveau der Lerngruppe, die Materialien didaktisch aufzubereiten. Für den Unterricht in der Sekundarstufe II und an Berufsschulen ist diese Hürde nicht so hoch. Generell finden Auszubildende, Studierende der Agrarwirtschaft und eine interessierte Leserschaft ein Werk mit einer sehr breiten Datenbasis und vielschichtigen Ausführungen zur ökonomischen Entwicklung in der Landwirtschaft.
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