Wandel braucht Bildung. Impulse, Konzepte und Praxis zur Bildung für nachhaltige Entwicklung
Das vorliegende Handbuch „Wandel braucht Bildung. Impulse, Konzepte und Praxis zur Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ist 2022 erstmalig im oekom-Verlag erschienen. Es kann Lehrpersonen in Bildungskontexten, Multiplikator:innen und Gestalter:innen[1] des Wandels als Handreichung für die Planung, Durchführung und (langfristige) Reflexion von Veranstaltungen dienen. Neben kurzen theoretischen Einführungen werden auch konkrete praktische Impulse für die eigene Arbeit gegeben. Vor allem für Lehrkräfte in der Schule werden in dem Werk Perspektiven und Möglichkeiten offeriert, wie Bildung für nachhaltige Entwicklung methodisch in den Unterricht eingebracht werden kann. Für die außerschulische Praxis sind insbesondere die Beiträge aus dem zweiten Kapitel „Vielfältige Zugänge“ und dem vierten Kapitel „In Projekten Nachhaltigkeit erfahrbar machen“ spannend. Im Weiteren soll besonderer Fokus auf die Einsatzmöglichkeiten in der schulischen Praxis und/oder unter schulischen Rahmenbedingungen gelegt werden.
Kompetenzerwerb mit dem Handbuch
Die im Handbuch skizzierten didaktisch-methodischen Impulse bieten viele Möglichkeiten für einen Einsatz in schulischen Lehr-Lern-Kontexten. Die Lernenden können dabei vielfältige Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben, die sich dem Bereich der Gestaltungskompetenz (nach de Haan) zuordnen lassen. Die Gestaltungskompetenz unterscheidet 12 Teilkompetenzen, unter anderem die Kompetenz zur Perspektivenübernahme, die Kompetenz zur Antizipation und die Kompetenz zur Bewältigung individueller Entscheidungsdilemmata (vgl. Rieckmann 2022:11). Damit zeichnet sich das Konzept der Gestaltungskompetenz durch Kompetenzen aus, die eine nachhaltige Entwicklung auf der Grundlage zukunftsweisender und eigenverantwortlicher Mitgestaltung ermöglichen (vgl. ebd.). Im Buch wird ausführlich dargestellt, wie diese Kompetenzen theoretisch zu begründen und praktisch gezielt geschult werden können. Diese Methoden werden in der Lehr-Lern-Forschung als Methoden transformativen Lernens bezeichnet, wobei auf ein gezieltes Verlernen nicht-nachhaltiger Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster hingearbeitet wird (vgl. Blum et al. 2021).
Dazu sind die Beispiele in Kapitel zwei „Methodischen Zugänge“ des Wertespiels, bei dem in Kleingruppen gemeinsam Werte diskutiert, hierarchisiert und hinterfragt werden können, besonders interessant. Auch die im Fortgang dargestellten methodischen Zugänge der „Wertschätzenden Erkundung“ oder der „Stadtteilbegehung“ lassen sich gut in den Unterricht implementieren und auf bestimmte außerschulische Settings fokussieren.
Aufbau und Analyse der Kapitel
Das Handbuch verfügt über ein Taschenbuch-Format und einen Softcovereinband. Der Oekom-Verlag garantiert zudem auf der ersten Seite dafür, dass die Seiten aus 100% Recycling-Papier bestehen. Es folgt das Impressum sowie die Titelseite, auf der neben dem Titel auch die Autor:innen benannt werden. Daran schließt sich das Inhaltsverzeichnis an, in dem die fünf Kapitel mit ihren Unterkapiteln aufgeführt werden. Direkt nach dem Inhaltsverzeichnis sind die Grußworte der Herausgeber:innen und Institutionen aufgeführt, bevor in die einzelnen Kapitel eingestiegen wird. Letztgenannte umfassen in der Regel drei bis fünf Unterkapitel. Diese geben stets eine theoretische Einordnung und stellen dann konkrete praktische Umsetzungsmöglichkeiten vor. Die Ausführungen werden begleitet von Bildern und farblich unterschiedlich gestalteten Theorie- und Praxisimpulsen.
Das erste Kapitel wendet sich den Grundgedanken einer Bildung für nachhaltige Entwicklung zu. Zunächst wird ein historischer Aufriss der Entwicklungen von der Umwelterziehung (BNE im instrumentellen Verständnis) hin zur Nachhaltigkeitsbildung (BNE im kritisch-emanzipatorischen Verständnis) gegeben. Auch die Potenziale der BNE sowie die Wege einer sozial-ökologischen Transformation und die Veränderung der Wahrnehmung von Natur werden aufgegriffen. Die Theorie wird kurz auf maximal vier bis fünf Seiten gehalten und die Ausführungen mit konkreten Literaturhinweisen belegt. Das zweite Kapitel wendet sich den unterschiedlichen Zugängen zur Nachhaltigkeitsbildung zu. Dabei werden verschiedene inhaltliche Schwerpunktsetzungen von der Initiierung einer Begeisterung über das Philosophieren, kulturelle Bildung und partizipatives Handeln hin zu der gemeinsamen Zukunftsgestaltung gewählt und methodische Begegnungsmöglichkeiten aufgezeigt. Im dritten Kapitel, das sich speziell dem „Lernen in und mit Gruppen“ annimmt, werden verschiedene Lehr-Lern-Settings zum Anlass genommen, um der BNE unterschiedliche Schwerpunktsetzungen zu geben. So geht es zuerst um konstruktivistisches Lernen bevor erneut partizipatives Lernen, Lernen in Streitgesprächen und Lernen durch Handeln/Engagement thematisiert werden. Das vierte Kapitel greift die direkte Erfahrung durch das Erstellen von Handlungsprodukten auf, wobei die Methoden des Projektlernens, des Sozialmarketings und der Vernetzung sowie der Sichtbarmachung der Handlungsprodukte und die Evaluation im Vordergrund stehen. Schließlich werden im fünften Kapitel Einblicke in die Verankerung und Verstetigung von BNE gegeben. Dazu dienen Interviews mit Akteur:innen und Absolvent:innen. Das Handbuch schließt mit Kurzvorstellungen der Autor:innen und Herausgeber:innen sowie des Trägerverbundes.
Reflexion
Bereits in der Analyse des Aufbaus ist deutlich geworden, dass das Handbuch ansprechend, einheitlich und interessant aufgebaut ist. Vor allem für Praktiker:innen bietet es zahlreiche Anregungen, wie sich BNE in ihrem individuellen Setting einsetzen lässt. Wünschenswert wäre eine etwas transparentere und theoretisch schärfere Abgrenzung der einzelnen Kapitel und Impulse, sodass sich konkretere Zuordnungen für die Lesenden vornehmen und das Einsatzfeld eindeutiger konkretisieren lassen.
Besonders für handlungsorientierte und außerschulische Lehr-Lern-Kontexte birgt das Handbuch großes Potenzial. So bietet die Methode der „Freien Naturerfahrung“ für Erkundungen von landwirtschaftlichen Betrieben viele Umsetzungsmöglichkeiten (S. 42). Die Methode sensibilisiert die Schüler:innen für Naturerfahrungen und deren Vielfältigkeit. Wichtig ist es, darauf zu achten, dass in den Lerngruppen vorher eine geeignete, offen kritische Atmosphäre geschaffen wird. Vor allem für ältere Schüler:innen ab Klasse10 scheint die „Freie Naturerfahrung“ passend. Es wäre denkbar, diese in den Hofbesuch einzubauen oder als Intervention im Unterricht einzusetzen. Letztgenanntes könnte beispielsweise am Anfang einer Unterrichtseinheit und an ihrem Ende stehen, um die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen zunächst kennenzulernen und die Inhalte daran anzupassen sowie abschließend zu reflektieren, wie diese sich verändert haben. Weitere Einsatzmöglichkeiten bestehen im Rahmen von handlungsorientierten Lehr-Lern-Einheiten, wie z.B. beim Projektlernen. Auch das sogenannte „Wertespiel“ lässt sich gut in Unterrichtsreihen einbinden, die sich mit der landwirtschaftlichen Produktion befassen (S. 55). Insbesondere für die Thematisierung gesellschaftlich kontrovers diskutierter Aspekte, wie Tierwohl, Globalisierung, Flächenverbrauch, Agrarsubventionen etc. lässt sich das Wertespiel gut einbinden, da eine curriculare Passung für die Klassenstufen 9/10 sowie 11/12/13 gegeben ist. Der Austausch der Schüler:innen untereinander über die einzelnen Problemstellungen, die durch die Bilder symbolisiert würden, kann Ausgangspunkt für eine Unterrichtseinheit sein. Besser gelegen wäre sie jedoch am Ende der Einheit, wobei die Schüler:innen ihr neuerworbenes Wissen einbringen und direkt über Handlungsoptionen diskutieren könnten. Wichtig ist, nicht bei der bloßen Formulierung der Optionen zu verbleiben, sondern direkte Aktionen zu planen, wie eine „Regional-Woche“ in der Schulmensa oder eine Diskussion mit Expert:innen aus der Branche zu organisieren. Nur auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass aus dem Nachhaltigkeitswissen auch Nachhaltigkeitshandeln wird.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Handbuch hervorragende Ansätze bietet, um BNE weiter in die Strukturen der Bildungseinrichtungen zu bringen. Wenngleich die Struktur des Lehrwerkes etwas transparenter und für die Leser:innenschaft klarer sein könnte, zeigt es dennoch zahlreiche Wege für die praktische Umsetzung auf. Auch für das Lernen auf dem Bauernhof sowie über Landwirtschaft entfaltet das Werk zahlreiche Potenziale, die es in die Bildungspraxis zu implementieren gilt.
[1] Als Gestalter:innen des Wandels werden Personen verstanden, die über den Bildungsbereich hinausgehend Aspekte der Nachhaltigkeit in die Gesellschaft tragen, z.B. Personalentwickler:innen, Coaches und Manager:innen oder Visionär:innen.
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