Beim vorliegenden Lehrwerk „Regenwald und Rinderhaltung – Futtermittelimporte im Fokus“ handelt es sich um einen Unterrichtsbaustein für die Klassenstufen 9 bis 11, der von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung herausgegeben wurde. Besonders gut eignet sich der Baustein für den Einsatz in den Fächern Geographie/Erdkunde und Sozialkunde sowie Gesellschaftswissenschaften oder Werte und Normen/Ethik. Eine Umsetzung kann im Rahmen des regulären wöchentlichen Unterrichts (zwei bis drei Stunden) sowie in Form eines handlungsorientierten Lernvorhabens z.B. eines Projektes erfolgen. Neben diesem Baustein stellt das BLE weitere Medien zur Verfügung, die sich mit den Themen „Dürre in der Landwirtschaft“ und „Düngung – Fluch oder Segen?“ auseinandersetzen. Digital kann das Material kostenlos heruntergeladen werden.
Lernziele und Kompetenzen
Mit der Bearbeitung des Unterrichtsbausteins erhalten die Lernenden die Möglichkeit, zahlreiche Kompetenzen zu erwerben. Der fachliche Schwerpunkt wird auf die Erläuterung und Beurteilung der Rinderhaltung hinsichtlich seiner Verortung in der Region oder in Südamerika gelegt, wobei überwiegend ökonomische und ökologische Gesichtspunkte betrachtet werden. Die geographischen Sachverhalte sollen aus unterschiedlichen Perspektiven erörtert werden, wobei ein selbstentwickelter Kriterienkatalog helfen soll. Dieser dient auch dazu Handlungsoptionen mit Blick auf die ökologischen Folgen abzuleiten. Im Kompetenzbereich Kommunikation liegt der Schwerpunkt auf der fachlich korrekten Kommunikation der eigenen Standpunkte sowie der adressatengerechten Begründung. Der Bereich Handlung wird durch das Erkennen der Notwendigkeit eines verantwortungsbewussten Handelns im privaten Lebensumfeld angesprochen. Methodische Schwerpunkte bilden das Auswerten und Zeichnen von Karikaturen sowie das sinnentnehmende Lesen und Analysieren von Texten und Grafiken.
Mit diesen gesetzten Kompetenzen und dem engen Raumbezug kann der Baustein in allen Bundesländern eingebracht werden. Die ausgewiesene Zielgruppe scheint mit einem Blick in die Lehrpläne etwas zu eng gefasst, ein Einsatz durchaus auch bis zur 13. Klasse möglich ist. Für untere Klassenstufen (ab Klasse 9) sollte eine zusätzliche Differenzierung erfolgen.
Aufbau und Analyse des Unterrichtsbausteins
Der Unterrichtsbaustein ist in Heftform gebunden und umfasst 15 Seiten. Bereits im Einband wird ein Vorwort an die Lehrkräfte gerichtet, die den Baustein einsetzen möchten. Es gibt Hinweise zur Zielstellung und der Konzeption. Die zweite Seite stellt den schematischen Ablauf der Unterrichtseinheit oder des Projektes dar, für den zwei bis drei Unterrichtsstunden vorgesehen sind. Diese können jedoch beliebig ausgedehnt werden. Seite vier gibt eine didaktische Einordnung vor und formuliert die Kompetenzerwartungen, die die Lernenden am Ende der Einheit erreicht haben sollen. Ferner wird der Unterrichtsverlauf kurz beschrieben. Benötigte Medien und Materialien werden ausgewiesen. Daran schließen sich die genannten Elemente an: Neben Karikaturen, Informationstexten und -grafiken sowie tabellarischen Übersichten gibt das Lehrwerk Kopiervorlagen vor, auf welche die Schüler:innen bei ihren Arbeiten zurückgreifen können. Es finden sich darunter Denkanstöße und strukturelle Vorgaben für den zu entwickelnden Kriterienkatalog.
Zum didaktisch-methodischen Ablauf lässt sich sagen, dass sich die Schüler:innen zunächst mit den wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Europa und Südamerika beschäftigt haben sollten, wobei die Problematik des Sojaanbaus dabei thematisiert werden müsste. Darauf aufbauend setzen sich die Lernenden mit der Karikatur (F1) auseinander, die einen „Regenwaldburger“ zeigt. Dieser wird als stiller Impuls genutzt, um Eindrücke zu sammeln, Fragen aufzugreifen und leitende Aspekte für das weitere Vorgehen festzulegen. Zudem können einzelne Schüler:innenaussagen an der Tafel gesammelt und geclustert werden. In jedem Fall sollten eine Leitfrage, die am Ende der Unterrichtsstunde beantwortet werden soll, sowie das Handlungsprodukt, welches das Ergebnis der Arbeitsphase darstellt, gemeinsam ausgehandelt werden. Dafür wird ein Vorgehen entworfen, das transparent an der Tafel sichtbar ist und an dem sich die Lernenden orientieren können. Die Arbeitsphase startet mit einer Stillarbeitsphase, in der sich die Schüler:innen individuell mit den ausgelegten Materialien auseinandersetzen (L1-L6). Dabei muss nicht für jeden Schüler oder jede Schülerin ein Material zur Verfügung stehen. Ergänzend kann auch auf Lexika, Fachbücher oder eigene Internetrecherchen zurückgegriffen werden. Im Anschluss an diese Phase werden die Denkanstöße in die Lerngruppe gegeben. Dies kann mithilfe einer Visualisierung an der Tafel oder an Stellwänden im Klassenraum erfolgen. Die Schüler:innen ordnen sich dem Impuls zu, der sie am meisten anspricht. Ergänzend zu den gegebenen Materialien (V1) können auch selbst Aussagen von den Lernenden aber auch von der Lehrkraft formuliert werden. Gemeinsam werden nun in den Gruppen die Informationen zusammengetragen und die Handlungsprodukte vorbereitet: Diese können von selbsterstellten Karikaturen, wie im Werk vorgeschlagen, bis hin zu Präsentationen, Erklärvideos oder Lernplakaten reichen. Dabei sollte die eingangs aufgestellte Leitfrage beantwortet werden. Im Anschluss diskutieren die Lernenden die Arbeitsergebnisse und reflektieren das gemeinsame Arbeiten. Das Werk empfiehlt außerdem, einen Kriterienkatalog zu entwickeln, aus dem Empfehlungen für die Produktion, den Transport, die Vermarktung und den Konsum von Rindfleisch hervorgehen. Dieser kann im Rahmen der Gruppenarbeiten aber auch in einer nachgelagerten Arbeitsphase entstehen. Die Priorisierung der einzelnen Kriterien kann in dieser Phase ebenfalls erfolgen.
Reflexion
Die Analyse hat gezeigt, dass das Lehrwerk gute Anregungen für Lehrkräfte gibt, sich mit dem Thema der Futtermittelproduktion und Rinderhaltung in Südamerika auseinanderzusetzen. Die Medien und Materialien sind aktuell und vielseitig, wenngleich sie noch etwas breiter aus mehreren Quellen recherchiert sein könnten, um die Vielfältigkeit der Perspektiven aufzugreifen und die Kontroversität der Thematik besser zu greifen. So werden nur staatliche Quellen oder Akteure der konventionellen Landwirtschaft zitiert. Zudem fehlen einige Quellenangaben insbesondere bei den Texten. Wünschenswert wäre ferner das Einbringen von Materialien, die in auditiven oder audiovisuellen Kanälen bereitgestellt würden, wie zum Beispiel Podcasts, Videos oder Interviews. Auch die Arbeit mit Schaubildern, die mehrere Informationen zusammenbringen wäre passend. Die Materialien und Medien nehmen nur die Verbraucher:innen in den Blick, eine andere Ebene, die politische und ökonomische Entscheidungsträger:innen in den Fokus rückt, wird nicht angesprochen.
Insgesamt erfüllt der Unterrichtsbaustein aus unserer Sicht nicht den Anspruch an ein aktuelles Unterrichtsmaterial, welches die Schüler:innen dazu befähigt, mit den aktuellen Transformationsprozessen kritisch und reflektiert umzugehen. Es verbleibt zu stark auf einer darstellenden und problemzentrierten Ebene und stellt keinen Lebensweltbezug her, der die Grundlage für handlungsorientierte Lernvorhaben bildet. Zugleich wäre eine partizipative Ebene anzustreben, die die Lernenden zu einem mündigen und resilienten Umgang mit Lebensmittelimporten aus Südamerika befähigt.
Der skizzierte Ablauf der Einheit ist durchaus sinnvoll, kann jedoch weiter optimiert werden. Im Einstieg muss nicht zwangsläufig problemorientiert und responsibilisierend vorgegangen werden (vgl. Hoffmann 2021). Ebenso gut möglich wäre es, ein Beispiel gelungener Regenwald-Nutzung vorzubringen. Dazu zählt beispielsweise die Agroforstwirtschaft, die insbesondere in Projekten der Staaten Peru oder Ecuador betrieben wird. Mehrere Kulturen werden dabei auf einer Fläche angebaut und der natürliche Stockwerkbau nachempfunden. Auch die Tierhaltung ist möglich. Auf diese Weise würde eine positive Haltung erzeugt und eine mögliche Lösung skizziert. Ferner gibt es im Unterrichtsbaustein keine Anregungen zur Differenzierung, zur Aktions- und Sozialform oder zu alternativen Handlungsprodukten. Bezüglich der Differenzierungsmaßnahmen wäre es, wie oben bereits ausgeführt, angemessen, Materialien für mehrere Lernkanäle zur Verfügung zu stellen. Zudem würde es sich anbieten, die Texte didaktisch zu reduzieren und für Lernende mit Förderbedarf in Leichter Sprache zur Verfügung zu stellen. Auch über das kooperative Lernen, bei dem mithilfe der Think-Pair-Share-Methode zunächst individuell, dann zu zweit und dann in größeren Organisationsformen gearbeitet wird, kann eine Differenzierung erfolgen. In diesem Kontext bieten sich Partner- oder Gruppenpuzzle an. Mit Blick auf die Zielstellung des Vorhabens, dass die Lernenden eine beurteilende Haltung entwickeln sowie kritische und reflektierte Konsumentscheidungen zu treffen, empfiehlt sich auch die Szenariotechnik, bei der dargestellt und diskutiert werden kann, was die Regionen bzw. die Menschen erwartet, wenn die Entwicklungen in dieser Form weiter anhalten. Dabei sollten nicht nur die ökonomische und ökologische sondern auch die soziale und politische Dimension des Nachhaltigkeitsvierecks berücksichtigt werden. Eine weitere Möglichkeit, das Vorhaben methodisch umzusetzen ist die Erkundung eines Supermarkts und Wochenmarkts, bei denen die Lernenden die Herkunft der verschiedenen Fleischangebote vergleichen und bewerten.
Aus diesen alternativen Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich auch neue Handlungsprodukte, wie Erklärvideos, Flyer und Handreichungen, die von der Schule öffentlichkeitswirksam ausgestellt (auch digital) werden. Im Sinne des transformativen Lernens und zur Schärfung des aktionalen Charakters sollte auch darüber nachgedacht werden, die Ergebnisse in die lokalpolitischen Aktionen einzubringen. Dazu wären gemeinsame Auftritte in Stadt- oder Gemeinderat oder Diskussionen mit entsprechenden Entscheidungsträger:innen von Unternehmen zielführend.
Insgesamt lässt sich sagen, dass der Unterrichtsbaustein spannende Zugänge zu einer brisanten Thematik eröffnet. Die Materialien sind gut recherchiert, könnten jedoch etwas vielseitiger aufgestellt sein, insbesondere was die Vielfalt der Perspektiven angeht. Bezüglich der didaktisch-methodischen Umsetzung zeigte sich umfassender Optimierungsbedarf, der sich aus der Vermeidung von Responsibilisierung der Jugendlichen bzw. der zu starken Problemorientierung des Vorhabens ergibt. Auch die Differenzierungsmöglichkeiten und die Handlungsebene erschien im skizzierten Baustein zu wenig berücksichtigt. Hierbei bieten sich zahlreiche Optionen an, die von der stärkeren Akzentuierung des kooperativen Lernens, über die Durchführung von Erkundungen bis hin zu Diskussionen mit Entscheidungstragenden reichen.